Am 8. Oktober 1984 erreichte der erste Atommülltransport das Zwischenlager Gorleben. Der Inhalt: schwach- und mittelaktive Abfälle aus dem AKW Stade. Dirigiert von Helikoptern, eskortiert von 2000 Polizisten raste der Konvoi durch die Dörfer. Straßen wurden abgeriegelt, Menschen, die sich querstellten, kurzerhand festgenommen. Ehrlich gesagt, wir wurden überrumpelt. Am Tag drauf das gleiche Spiel: Der zweite Transport machte sich auf den Weg – es herrschte Ausnahmezustand. Trotzdem gelang es im zweiten Durchgang nun vielen, den Transport immer wieder zu stoppen. Flankiert wurde der martialische Auftritt noch durch ein Bundeswehrmanöver mit schwerem Gerät. Dem ersten „Tag X“ waren eine Wendlandblockade und eine Menschenkette von Hitzacker nach Clenze vorausgegangen. Ein Vorspiel für die Mobilisierung und das, was Mitte der Neunzigerjahre dann mit dem ersten Castortransport nach Gorleben bis ins Jahr 2011 den Alltag im Wendland bestimmte.
40 Jahre nach dem Einlagerungsbeginn sehen wir voller Ernüchterung, dass die Frage, wohin mit dem Atommüll, noch lange nicht gelöst ist. Das Fasslager in Gorleben wird unbefristet betrieben, die schwach- und mittelaktiven Abfälle sollten eigentlich in die ehemalige Erzbergwerk Schacht KONRAD verbracht werden, doch der Planfeststellungsbeschluss wird höchstwahrscheinlich juristisch angefochten, weil das Bergwerk aus Sicht der Kritiker heutigen Sicherheitsanforderungen an die Atommüllendlagerung nicht entspricht.
In der Castorhalle – offizieller Titel „Brennelemente-Zwischenlager Gorleben“ – stehen 113 Behälter mit hochradioaktiven Abfällen. Die Aufbewahrungsgenehmigung erlischt im Jahr 2034, und weil der Endlagerstandort wohl erst in den 60er oder 70er Jahren des Jahrhunderts feststeht, mutieren die Zwischenlager zu Langzeitlagern – mit allen Risiken einer oberirdischen Lagerung dieser brisanten Abfälle. Dazu kommt noch, dass die Behältergenehmigungen für 38 der 113 Castoren, schon vor 2034 auslaufen. Es bleibt also allein in Gorleben viel zu tun.
Nicht nur deshalb müssen wir auch Christian Meyer, dem niedersächsischen Umweltminister, widersprechen, der Anfang Oktober Gorleben besuchte. Er hatte anlässlich der Erteilung der Stilllegungs- und Abbaugenehmigung für das Atomkraftwerk Lingen 2 im Emsland behauptet, dass die Atomkraft in Niedersachsen Geschichte sei. Udo Buchholz vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) sagte es in einer Replik treffend: „Gerade Niedersachsen ist nach wie vor ein Zentrum der internationalen Atomindustrie. In Lingen werden Brennelemente hergestellt, die den Betrieb von Atomkraftwerken in etlichen Ländern gewährleisten. Und in Lingen will auch noch die russische Atomindustrie mit einsteigen, damit zukünftig dort auch Brennstäbe für osteuropäische Atomkraftwerke produziert werden können.“ Im Rahmen des dafür notwendigen atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens wurden in diesem Jahr rund 11 000 Einsprüche in Hannover beim zuständigen Umweltministerium eingereicht. Sie sollen ab dem 19. November bei einem Erörterungstermin in Lingen vertieft werden. Die Brennelementefertigung in Lingen muss gestoppt werden – auch ohne russische Beteiligung.
Zwei Dinge nehmen wir mit aus all den Jahren: Ohne Protest und Widerstand der Zivilgesellschaft wären die Atomkraftwerke nicht abgeschaltet worden. Und: Wer heute auf Atomkraft setzt, sollte unbedingt auf die Atommüllproblematik und auch auf die Kosten der nuklearen Entsorgung schauen. Unser Engagement ist weiterhin notwendig.
Wolfgang Ehmke,
Pressesprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.